Wenn man ein Problem angeht, sollte man sich die folgenden Fragen stellen, bzw. Schritte durchführen:

  1. Ist das Problem überhaupt mit theoretischen Methoden lösbar?
    Die Frage ist weniger trivial, als es auf den ersten Blick scheint. Die Frage, wie synthetisiere ich am elegantesten eine gegebene Zielverbindung, ist sicher keine geeignete Problemstellung für Molecular Modeling Verfahren. Der Erfolg vieler Pioniere auf diesem Gebiet liegt eher darin, die richtigen Fragestellungen für die entsprechenden Methoden zu finden, als die Methoden in genialer Weise anzuwenden.
  2. Welche Methoden wende ich auf welches Problem an?
    Trivialerweise sollte man auf kleine Moleküle aufwendige (zuverlässigere) Verfahren anwenden und bei größeren Systemen einfachere (schnellere) Methoden mit zunehmend empirischem Charakter. Je empirischer das Verfahren und je weniger Erfahrungen aus der Literatur vorliegen, desto wichtiger ist es, die Methode zunächst an Testrechnungen zu evaluieren. D.h. man führt Rechnungen an möglichst ähnlichen Systemen durch, für die experimentelle Daten zum Vergleich mit den berechneten vorliegen. Allgemein gilt, daß akademische Nutzer meist die intellektuell befriedigenste Lösung suchen, während Leute aus der Industrie Methoden bevorzugen, die in der Praxis möglichst schnell die zuverlässigsten Ergebnisse liefern.
  3. Kann ich das Problem vereinfachen?
    Für Probleme, die man aufgrund des hohen Rechenzeitaufwandes nicht auf einem adequaten Niveau behandeln kann, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: a) Man rechnet auf einem niedrigeren, weniger aufwendigen Niveau und nimmt die dadurch entstehenden Unsicherheiten in Kauf oder b) man reduziert das Problem auf ein vereinfachtes Modell, z.B. durch Weglassen von Substitutenten. Letztere Methode führt oft zu allgemeiner interpretierbaren (intellektuell befriedigerenden, siehe oben) Ergebnissen.
  4. Durchführung der Rechnung
    Dank der grafischen Ein- und Ausgabe der modernen Programme ist dieser Schritt häufig der einfachste. Bei langen quantenmechanischen Rechnungen ist es oft notwendig, die Rechnung während des Laufes regelmäßig zu überprüfen und abzubrechen oder einzugreifen, wenn erkennbar ist, daß sie sich nicht mehr auf dem "Pfad der Tugend" befindet.
  5. Interpretation der Ergebnisse
    Bei komplizierteren Fragestellungen fängt die Arbeit nach der Rechnung erst an. In der Regel will man nicht einen experimentell gemessenen Wert durch eine Rechnung bestätigen, sondern chemische Phänomene, wie z.B. Reaktivität oder Stereochemie "verstehen". Dazu sind bei quantenchemischen Rechnungen Kenntnisse der qualitativen MO-Theorie unerläßlich. Die Detail-Info qualitative MO-Theorie nimmt daher im vorliegenden Molecular-Modeling-Kurs einen breiten Raum ein.

Bei den meisten praktischen Fragestellungen ist es notwendig, eine ganze Reihe von Rechnungen durchzuführen und obige Schritte iterativ auszuführen, um zu Ergebnissen zu gelangen, die einen Trend wiedergeben order Voraussagen erlauben.

Die höhere Kunst der Anwendung theoretischer Methoden ist es nicht, experimentelle Ergebnisse a posteriori zu erklären (von Spöttern "theoretische Nachbereitung experimenteller Zufallsergebnisse genannt"), sondern Voraussagen zu machen und damit zu helfen, Experimente zielgerecht zu planen ("zuerst rechnen, dann kochen").